Das Vermächtnis von Akasch Fingerhut

Die Nacht war tief schwarz. Ruhe lag über dem Gut Fingerhut, nun mehr das neue Sanatorium zu Sandspitze. Die gepeinigten Seelen der Patienten hatten endlich ein wenig Ruhe gefunden und das rege Treiben des Tages ein Ende gefunden. Nur das Fenster der Dachkammer des Anwesens wurde von einem geisterhaften Licht erhellt. Die Kammer war düster, geisterhafte Schemen huschten über die Regale mit alten Folianten und verstreuten Gegenständen. Akasch Seuchenwind, letzter seiner Familie und alleiniger Eigentümer der Besitztümer der Fingerhuts saß auf seinem Stuhl, den Blick scheinbar ins Leere gerichtet. Der schwache Schein einer herunter gebrannten Kerze beleuchtete sein fahles Gesicht. „Sechs Monate ist es her,“ grübelte er vor sich hin. „Welche Mühen hat es uns gekostet, wie oft haben wir dem Tod ins Auge geblickt und sind dennoch zurückgekehrt.“
Sein Blick fiel vorbei an der flackernden Flamme auf den Tisch vor ihm. Eine unscheinbarer Gegenstand befand sich darauf, vielleicht ein alter Krug oder eine schmucklose Vase. Bedächtig ließ Akasch seine Finger über matte Oberfläche gleiten und warf einen prüfenden Blick auf die scheinbar wertlos Keramik.
„So viele Opfer, soviel Schmerz, doch es wird sich lohnen. Alle Vorbereitungen sind getroffen, alle Komponenten zusammen getragen, es fehlt nur noch eine letzte Zutat. Heute Nacht wird das Geschlecht der Fingehuts sein Ende finden.“
Langsam schob der Hexenmeister den Ärmel seines Gewandes zurück. Bald ist es vollbracht, dachte er bei sich, als er seinen Dolch hervor holte und die scharfe Klinge begutachtete. Bedacht ließ er die Schneide über seinen nackten Unterarm gleiten. Das Blut wirkte fast schwarz im schwachen Licht der Kerze als Akasch es über seine blasse Haut zu seiner Hand rinnen ließ. Der Schnitte war nicht tief doch er würde genügen. Akasch erhob sich, eine kleine Lacke hatte sich auf seine Handfläche gebildet. Er hielt seine Hand über den Hals der Vase und betrachtete wie die Tropfen seines Blutes, über seine Finger in den Hals er Vase tropften.
„Vorrel war ein Narr. Er hat alles geopfert, aus blindem Eifer und maßloser Selbstüberschätzung. Nie hat er begriffen, dass ein Pakt immer in beide Richtungen geschlossen wird. Ich bin dir zu Dank verpflichtet Großvater, du hast mir Dinge und Wege gezeigt, die ich erst in Jahrzehnten gefunden hätte. Dein Wissen, dass du mir hinterlassen hast, als ich dich endlich aus meinem Körper vertreiben konnte, mache dies hier erst möglich. Ich werde nun vollenden wonach du dein Leben lang gestrebt hast und es erfüllt mich mit finsterster Genugtuung das ich dich so kurz vor deinem Ziel scheitern lassen konnte. Du sollst dich auf Ewig in der Bitterkeit deines Versagens wälzen für das Unglück, dass du meiner Familie und den Menschen zugefügt hast.“ Obwohl Akasch die Worte nur gemurmelt hatte, hallten sie in seinem Kopf wider, als stünde er in einer Kathedrale und der letzte Tropfen fiehl in die Vase.
Die Hand weiter ausgestreckt sprach der Hexenmeister unverständliche Worte, das Gefäß auf dem Tisch erbebte und schien die dunklen Zaubersprüche dumpf und verzerrt zu wiederholen. Die Flamme der Kerze flackerte als stünde ein Fenster offen, doch kein Hauch war zu spüren. Als die letzte Silbe gesprochen war schoss eine greller Lichtstrahl aus dem Inneren der Vase, so als würde sie all die Komponenten des Zaubers zu erbrechen versuchen. Die Kammer war für einen Augenblick von einer unnatürlichen Helligkeit erfüllt. Das Licht erstarb und das Gefäß stand wieder so unscheinbar vor Akasch wie zuvor. Sichtlich erschöpft ließ er sich auf den Stuhl hinter ihm sinken, das Ritual war abgeschlossen.
Der Raum hüllte sich in Stille und Dunkelheit. Die Kerze war erloschen.
Es begann mit einem Gefühl von Kälte. Akasch spürte wie sie langsam und unaufhaltsam in seine Glieder kroch, endgültig und jede Wärme verzehrend. Ein dünner Hauch Atem drang aus seinem Mund, wie im tiefsten Winter. Dann ein leichtes Zucken in seinem Arm. Fasziniert betrachtete Akasch die ungewollten Bewegungen und konnte den Schnitt erkennen. „So endet es also,“ sprach er leise. Ein hefiger Ruck ging durch seinen Körper, plötzlich, doch nicht überraschend. Noch ein Ruck, wie von einem heftigen Schlag. Akasch wurde von seinem Stuhl geschleudert. Er stürzte unfähig sich abzufangen. Sein Körper wurde von hefigen Krämpfen geschüttelt, seine Arme und Beine zuckten unkontrollierbar als das Leben aus dem Körper gerissen wurde. Seine Augen rollten grässlich in den Höhlen unter dem unnatürlichen Anfall. Dennoch verspürte der Hexenmeister keine Angst, er wusste was nun geschehen würde, er hatte es schon gefühlt, das Ende.
„Lass alles hinter dir, lass los, du bist am Ziel. Sie werden es verstehen und wenn nicht, was macht das schon. Du bist nicht dein Großvater, du bist nicht Vorrel, dein Weg wird ein anderer sein. Es ist dein Recht, deine Bestimmung, deine Wahl. Lass los,“ strömten die Worte durch seinen Verstand. Allmählich ebbte das Schütteln ab, der Krampf hörte auf den Körper zu peinigen.
Das Anwesen der Fingerhuts hatte nun endlich seinen Frieden gefunden, mit dem Tod seines letzten Erbens. Oben in der Dachkammer, die schon sein Vater und sein Großvater vor ihm bewohnt hatten lag der leblos Körper von Akasch Seuchenwind, dem letzten der Fingerhuts.

Eine leichte Bewegung ging durch die Leiche, kaum zu bemerken. Im Dunkel des Raumes begann sich der zusammen gekauerte Körper zu regen. In schaurigen Rucken drehte er sich auf den Rücken, die Gliedmaßen von sich gestreckt. Nur die Toten bewegen sich auf diese Art, plötzlich, ungelenk ohne Leben, wie Marionetten an Fäden. Doch es war anders, nach einem kurzen Moment richtete sich der Leichnam in einer fließenden Bewegung auf, wie Wasser. Die Lider schlugen nach hinten, eisblaue Augen starrten in die Dunkelheit. In einem Augenblick rann sein Leben vor seinem Geiste vorbei als der neugeborene Lich sich erhob. Sein Blick wanderte durch die Kammer, so als wusste er nicht wo er sich befand, oder wer er einst gewesen war. Er tat einige Schritte, wie ein Kind das zum ersten Mal zu gehen lernte. Er ging zum Tisch, und betrachtete die Vase, sein Phylakterium. Die Essenz seines Daseins war nun an dieses unscheinbare Ding gebunden, auf Ewig. Er streckte den aschfahlen Arm danach aus und umschloss es mit seiner Hand. Behutsam wie einen Schatz hob er es von dem Tisch auf und ließ es in seinem Gewand verschwinden. „Ich werde mir wohl einen neuen Namen geben müssen,“ sagte das Wesen, dass vor kurzem noch Akasch Fingerhut war und mit einer beiläufigen Geste verschwand er als der Teleportationszauber seine Wirkung entfaltete.