Kyu – Die Geschichten aus dem Kapitel „Das Brandopfer“

Ich sehe sie brennen, ich höre sie schreien, ich rieche ihr Fleisch, das vom Knochen fällt.

Feuer! Überall! Es brennt mit einer Wut, die ich nicht erklären kann.

Diese armen Menschen.

Meine Hände können sie nicht erreichen, meine Rufe verhallen und dann – spüre ich nur mehr den Tod. Alles ist still. Ich bin alleine.
Die Flammen sind fort; von ihrer Wut ist nichts geblieben. Dicker Rauch verdeckt meine Sicht, das Atmen fällt mir schwer. Verzweifelt drehe ich meinen Kopf. Ich kann nichts sehen. Meine Füße scheinen mit dem Boden verschmolzen zu sein, denn ich will vorwärts gehen, aber sie folgen meinem Willen nicht.

Jetzt spüre ich einen Windhauch, angenehm kühl. Der schwere Rauch bewegt sich kaum. Der Wind wird stärker – und kälter. Er schneidet sich jetzt unangenehm in mein Gesicht. Aber der Rauch kann ihm nicht mehr standhalten; er verzieht sich. Endlich kann ich wieder sehen.

Ich stehe vor einem Tempel, prunkvoll gebaut, mit einem hohen Turm. Er trägt Merkmale und Insignien von sechs verschiedenen Göttern. Menschen strömen darauf zu, viele, viele Menschen. Alle jubeln und freuen sich. Eine Schwalbe fliegt dicht an mir vorbei. Sie steigt hoch; ich blicke ihr nach. Meine Augen bleiben am Turm hängen.

Da spüre ich sie wieder, diese Wut. Diese uralte, lauernde, zielgerichtete Wut. Wie in den Flammen.
Sie ist so präsent als könnte ich sie greifen. Aber das brauche ich gar nicht, denn sie greift nach mir. Ich muss hier weg. Meine Füße versagen mir weiter den Dienst. Panik überkommt mich.

Ich erwache.

Es ist nun mehr als drei Jahre her, dass ich diese Vision zum ersten Mal hatte; und noch heute sucht sie mich heim, wenn ich mich in einen Zustand besonders tiefer Meditation begebe. Anfangs war ich verstört und verängstigt. Alles fühlte sich so real und unausweichlich an. Ich war sogar kurz davor, das Kloster zu verlassen und meine Meditationen für immer zu beenden. Doch Meister Shu-Yun lehrte mich, dem Grauen gegenüber zu treten und ihm ins Auge zu blicken. „Furcht nährt das Böse, wie Öl eine Flamme.“ sagte er mir.

So lange ich denken kann hat Meister Shu-Yun mich begleitet. Als kleines Kind noch, holte er mich aus den Fängen von Sklavenhändlern und nahm mich im Kloster auf. Seit diesem Tag lehrte er mich den Weg des Ojutai. Gemeinsam mit meinen Brüdern und Schwestern strebe ich danach meinen Körper und meinen Geist zu perfektionieren und rechtschaffend als Vorbild für alle zu handeln.

Und auch hier stand er mir mit seiner Weisheit und unerschütterlichen Ruhe zur Seite. Geduldig leitete er meine Meditationen und zeigte mir Wege die Vision zu verarbeiten, ihre Bilder zu verstehen um ihrer Botschaft auf die Spur zu kommen.

Die letzten drei Jahres habe ich damit verbracht Bücher zu studieren und mir ein umfangreiches Wissen über Geschichte und alte Kulturen Varisia’s , insbesondere der Thassilon, angeeignet.

Doch die Zeit der Nachforschungen ist vorbei. Die Visionen werden intensiver und der Ort an den ich mich begeben muss ist Sandspitze, daran besteht kein Zweifel. Ich verneige mich vor meinem Meister – vielleicht zum letzten Mal. Dann tragen mich eilige Schritte vom Kloster fort. Kein Blick zurück, es bleibt nicht viel Zeit; das Schwalbenschwanzfest wird bald begangen …


Der Tag nach dem Goblin-Angriff

Meine Knochen schmerzen, mein Schädel dröhnt meine Wunden brennen. Aber am meisten nagt momentan mein Stolz an mir. Niedergestochen von einer grünhäutigen, hageren, übelriechenden Kreatur. Ich kann es mir selbst nicht erklären. All die Jahre des Trainings …
Ich kann schon Meister Shu-Yun’s Stimme hinter mir hören :“ Wenn du einmal verlierst, dann verliere wenigstens nicht die Lektion daraus.“
Zähneknirschend schiebe ich das schale Gefühl beiseite. Meine Lektion werde ich lernen.
Die Visionen haben mich zweifellos an den richtigen Ort geführt, aber die Gefahr ist zu groß, als dass ich alleine damit fertig werden könnte.
Und alleine bin ich auch nicht. Der Krieger, der Barbar, die Elfe alles gute Kämpfer; und der Halbling mag klein von Statur sein, aber wie pflegt mein Meister stets zu sagen: „Die Höhe des Kopfes ist bedeutungslos, wahre Größe kommt von innen.“
Ich habe ihnen wohl unrecht getan, sie so kühl und herablassend zu behandeln. Sie sind mir im Kampf zur Seite gestanden und haben mir geholfen, als die Situation aussichtslos schien. das werde ich ihnen nicht vergessen.
Ein paar Stunden sollte ich mich noch ausruhen, dann werde ich etwas die Stadt erkunden. Einen Stadtführer habe ich bereits erworben. Ich werde die Zeit nutzen um mich ein wenig über diesen Ort schlau zu machen.

Außerdem sollte ich den Tempel aufsuchen; meine Haut juckt wie verrückt. Dieser seltsame Hund hatte gewiss Flöhe oder Krätze oder einen Pilz oder alles zusammen. Hoffentlich haben sie dort eine Salbe gegen so etwas.


Der Tag des unsichtbaren Goblins

Meine Wunden heilen schnell und meine Haut juckt kaum noch, obwohl ich mir sicher bin, dass es nicht die beste Salbe war, die man mir im Tempel überlassen hat. Abenteuerlich, was die dort für ein Tiegelchen duftendes Schweinefett verlangen. Mir wurde von Kindheit an beigebracht, nicht weltlichem Reichtum hinterher zu laufen, aber ich bin nicht dumm und erkenne Wucher, wenn ich ihn sehe. Ich musste ein bisschen den „Held von Sandsitze“ hervorkehren – obwohl mir Prahlerei mit derlei Titel eigentlich zu wieder ist. Zähneknirschend hat man mir dann ein schäbiges kleines Tongefäß mit einer ranzig reichenden, schmierigen Substanz überlassen. Nach dem Auftragen rieche ich nun wenig besser als der Hund, dem ich all das zu verdanken habe; aber seis drum – wenigstens hilft es.
Allerdings scheint es, dass ich mir mit meiner Genesung reichlich Zeit gelassen habe. Als ich nach einigem Suchen meine neuen Gefährten wieder gefunden habe, waren sie auf dem Friedhof bereits damit beschäftigt ein paar Untoten den Gar aus zu machen. Zu dem Kampf konnte ich nicht mehr viel beitragen, aber zumindest nachher konnte ich mich nützlich machen. Meinen scharfen Augen entging nicht das verkohlte, ehemals magische Stück Holz am Boden und eben so wenig, das magische Knochenhemd in dem Grab. Letzteres weckte besonders das Interesse des Magiers, einer der Neuen.
Wieder im „Rostigen Drachen“ – wo man uns ob unserer Rolle, bei der Verteidigung der Stadt, einquartiert hatte – wurden wir reich beschenkt. Ich darf nun ein Pferd mein eigen nennen. Takhi – Seele des Windes habe ich es getauft. Ein schnelles, edles, wenn auch etwas ungestümes Ross. Ich hoffe ich werde mich ihr würdig erweisen.

Am nächsten Tag machten wir Bekanntschaft mit der hiesigen Wildläuferin. Ihr Bericht über die Goblinstämme dieser Gegend waren lehrreich und beunruhigend zugleich. Schließlich erhielten wir den Auftrag die stark dezimierte Stadtwache zu verstärken. Eine Selbstverständlichkeit; es wäre kaum angemessen, die Ehren und Geschenke dieser Stadt entgegen zunehmen und sie dann schutzlos zurück zu lassen. Leider mussten wir bei unserer Patrouille auf zwei Kampfgefährten verzichten.
Wilhelm hatte sich durch einen Biss eine üble Krankheit zugezogen und unser Kleriker musste sich seiner annehmen.
Unterwegs auf der Straße ließ der Ärger nicht lange auf sich warten. Wie es scheint, hatten wir längst nicht alle Goblins am Platz und bei den Stadttoren getötet. Einer hatte sich wohl im Kleiderschrank jener Familie versteckt, die nun in Panik aus ihrem Haus floh. Für den armen Mann kam jede Hilfe zu spät, doch den Goblin konnten wir aus seinem Versteck jagen. Unser armer Pappo geriet wieder arg in Bedrängnis, ein magischer Trank machte unseren Gegner unsichtbar und zu allem Übel lief auch noch ein Zauber etwas aus dem Ruder. Noch benommen von einem Stromschlag setzte ich dem Gegner nach; wollte ihn auf der Straße stellen. Arya aber ließ es gar nicht erst so weit kommen. Von zwei Pfeilen durchbohrt, sackte das grüne Scheusal vor mir zusammen. Sie mag nicht sehr gesprächig sein, aber schießen kann sie wie keine Zweite.

Diesen ereignisreichen Tag wollten wir in Ruhe und bei gutem Essen in der Taverne ausklingen lassen. Leider gerieten wir mitten in einen, lange schwelenden Familienzwist hinein. Der Vater unserer Gastgeberin, ein ebenso reicher und mächtiger wie mürrischer und missgünstiger Mann störte unsere Runde mit unangebrachtem Fremdenhass und Anschuldigungen.
Leider waren nicht alle meiner Gefährten so besonnen wie ich und bald flogen Elbenpfeile durch den Schankraum. Als dann auch noch die Fäuste unseres Halb-Orkischen Freundes recht locker zu sitzen schienen, drohte die ganze Situation zu eskalieren. Tarmin rettete den Hausfrieden und geleitete den ungebetenen Gast vor die Türe.
Satt und müde legten wir uns schließlich schlafen.


Der Tag in der Glashütte

Die Glashütte ist gefallen und mit ihr eine der reichsten und mächtigsten Familien von Sandspitze. Vom Imposanten Bauwerk an der der Verlorenen Küste sind bloß noch zerbrochenes Glas und bröckelndes Mauerwerk übrig. Ihr Herz, der gigantische Hochofen, ist geborsten und gleich einem Strom aus Blut ergießen sich geschmolzenes Glas und Gestein durch die Hallen des Gebäudes und begraben die Ereignisse der letzten Stunden für immer unter sich.
Ein Begräbnis in Feuer, Glas und Schmerz war auch Lonjiku Kajitsu beschert und beendete ein für alle man den großen Vater-Tochter-Zwist, dessen wir am Vorabend Zeugen wurden. Doch es war nicht Ameiko, die sein Schicksal besiegelte, sondern ihr Bruder; sein eigener Sohn.

Nach einer Nacht, wohlverdientem, tief-erholsamen Schlaf, erwachten wir, nur um die Taverne seltsam menschenleer vorzufinden.
Die Schankmaid übergab uns ratlos einen Brief von Tsuto Kajitsu, dem Bruder ihrer Dienstgeberin, in dem er sie aufforderte zur Glashütte zu kommen. Er hätte Informationen über die Beteiligung des Vaters an dem Gobblin-Überfall.
Wir wurden misstrauisch, zumal Ameiko noch nicht zurück war, und machten uns auf den Weg.
Bei der Glashütte angekommen fanden wir sie seltsam verlassen und verschlossen vor. Einzig der Schlot des Hochofens zeigte Zeichen von Betriebsamkeit. Arya fand einen Schlüssel und wir verschafften und Zutritt. Raum für Raum durchsuchten wir das Gebäude, fanden aber nur leere Räume und Glasskulpturen aller Art. Einige davon waren schön anzusehen, andere jagten mir einen kalten Schauer über den Rücken.
Schließlich kamen wir in die große Fertigungshalle und haben es nur unserem Barden zu verdanken, dass wir nicht unvorbereitet in eine Meute Gobblins gerannt sind. Der kleine Kerl hat Ohren wie ein Luchs.
So hatten wir das Überraschungsmoment auf unsrer Seite und im Kampf schnell die Oberhand. Nachdem wir die garstigen Kreaturen zu ihrem Schöpfer geschickt hatten wurden wir uns des vollen Ausmaßes ihrer Zerstörungswut gewahr. Sie hatten die Arbeiter des Werkes nicht einfach getötet, sie hatten sie mit flüssigem Glas übergossen und der Inhaber selbst wurde zu einem Monument seiner eigenen Todesqualen geformt.
Ich weiß nicht ob es dieser grausame Anblick oder noch der Rausch des Kampfes war, jedenfalls konnte Wilhelm nicht an sich halten und schlug diese schamlose Zurschaustellung grenzenloser Boshaftigkeit in Stücke.

Aber noch war es nicht vorbei. Dies war nicht das Werk der grünen Spitzohren alleine und zwei waren uns entkommen. Eilig verfolgten wir sie in den Keller, wo wir genau in die Falle Tappten. Druckplatten im Boden lösten einen Pfeilhagel aus und verwundeten einige meiner Freunde teils schwer. Jahrelanges Training hat meine Sinne geschärft und meine Reflexe verbessert. So konnte ich den Geschoßen unbeschadet entgehen und Pappo zu Hilfe eilen, der wieder einmal einen versteckten Gobblin aufgespürt hatte. Unser Kleriker rettete ihn von der Schwelle des Todes.
Schließlich stellten wir den Urheber all dieser sinnlosen Grausamkeiten – Tsuto Kajitsu – zum Kampf. Er scheint aber ein ähnliches Training wie ich selbst genossen zu haben und konnte sich so unserem Zugriff entziehen.
Wenigstens konnten wir Ameiko retten und ein wenig Licht in den Gobblin-Überfall bringen. Doch werfen einige Antworten noch mehr Fragen auf; und wollen wir diese dann wirklich beantwortet haben. Ich fürchte das Bild wird uns nicht gefallen, wenn wir erst alle Teile zusammengesetzt haben.
Fürs Erste jedenfalls ruht die Welt, doch es scheint als würden wir am Fenster stehen und durch das Glas auf den nahenden Sturm blicken.


Die Erkundung der Distelkrone

Es mag ein kleiner Sieg sein, aber er fühlt sich gut an. Endlich, nach langen Wochen in denen die Stadt wieder und wieder angegriffen wurde; nachdem wir alle Angst erleben mussten und sich unsere Gedanken nur um die Verteidigung drehten; sind wir endlich in die Offensive gegangen und haben den Kampf zu unseren Feinden getragen. Die Stadt ist weit davon entfernt sicher zu sein, aber wenn man durch die Straßen geht merkt man deutlich, die Moral steigt. Sandspitze fühlt sich nicht mehr so hilflos.

Doch der Reihe nach.
Es ist nur wenige Tage her, da traf ich zwei meiner Kampfgefährten auf dem Marktplatz vor dem Tempel wieder. Tarmin und Arya habe ich seit dem Vorfall in der Glashütte nicht mehr gesehen. Natürlich hatte ich von den Begebenheiten im Schmugglertunnel und dem entdeckten Gewölbe gehört, habe mich seither aber auf meine Studien in der umfangreichen Bibliothek des Tempels konzentriert.
Viel Zeit zum Plaudern blieb uns aber nicht. Auf dem Platz, in der Nähe des Brunnens war eine große Menschenmenge zusammengekommen. Viele Hände waren geschäftig zugegen und zunächst konnten wir nicht ausmachen was los war. Als wir näher traten erkannten wir, daß da Ausgrabungen stattfanden. Eine Gruppe, unter der Leitung von Proderik Quinn, versuchte zu dem alten Tempel des Lamaciu durchzubrechen, den meine Gefährten vor gut 2 Monaten entdeckt hatten.
Besorgt darüber, sprachen wir mit Abt Zantus, der uns aber versicherte, daß der Sündenpool versiegelt sei. Er schien die Grabungen zu begrüßen, boten sie schließlich eine Möglichkeit den unterirdischen Tempel eingehend zu studieren. Doch so zuversichtlich wie der gute Abt war ich nicht. Angesprochen auf die verschwundenen Gebeine von Vater Tobin und den unklaren Verbleib von Zuto Kajitsu erhielt ich eine Einladung zum Rat der 5, die ich gerne annahm.

Am Abend desselben Tages – nach einer, nicht unbedingt fruchtbaren, Unterhaltung mit Bürgermeisterin Deverin – trat ich vor den Rat um mein Anliegen zu unterbreiten.
Bei der Ratssitzung anwesend waren – als feste Mitglieder – die Bürgermeisterin selbst, Titus Scarnetti, Abt Zantus sowie ein pompös gekleideter Mann, den ich nicht kannte. Der 5. Platz, jener von Amaiko Kajitsu, bleib leer. Hier erhoffte ich mir Unterstützung, Rat oder wenigstens Aufmerksamkeit für die Sorgen die mein Herz belasteten. Ich konnte doch nicht der Einzige sein, den die verschwundenen Gebeine, das ungewöhnlich taktische Zusammenarbeiten der Gobblinstämme und die Verstrickung Zuto Kajitsus in all das beunruhigte
Abgesehn von mir, waren noch 2 weiter Personen geladen worden. Proderik Quinn, der über den Fortschritt der Grabungen berichtete und Shalelu, die elfische Waldläuferin im Dienste der Stadt.
Sie war es auch, die sich am meisten für meine Sorgen und den Brief von Zuto Kajitsu interessierte. Der Rat der 5 hörte sich mein Anliegen zwar höflich an, bat mich aber kurz darauf ebenso höflich vor die Türe.
Die Elfe allerdings bat um ein Treffen, welches wir im Schleim-Aal verabredeten.
Eines ist gewiss; so schnell werde ich dieses Lokal nicht wieder betreten. Mein ganzes Leben habe ich auf die Beherrschung meines Körpers hin ausgelegt, doch in dem Aal habe ich wohl meinen Meister gefunden.
Shalelu jedenfalls hielt Wort und so saßen wir gemeinsam mit Arya und Tarmin und berieten was als nächstes zu tun sei.
Die Distelkrone wurde als Ziel ausgewählt, da wir uns erhofften dort auf Brockenbeißer oder Brutalamus zu treffen und sie ausschalten zu können.

Am nächsten Tag ging es früh am Morgen los. Nach langen Stunden Marsch erreichten wir den Nesselwald, wo wir dank einer Karte von Shalelu den Eingang zu einer Gobblinbehausung fanden. Dichtes Blatt- und Wurzelwerk formten so etwas wie ein Höhlensystem, in dem die garstigen Kreaturen hausten. Vorsichtig tasteten wir uns durch die vielen Gänge vorwärts, vermieden es so gut es ging entdeckt zu werden.
Unerkannt gelang es mir außen an den Klippen entlang zu klettern und den Eingang zu einer, der Küste vorgelagerten Insel zu entdecken. Auch den Hort eines unbekannten Tieres konnte ich ausfindig machen und etwas von seinem Fell an mich nehmen.
Doch auf Dauer konnte der Kampf nicht vermieden werden. Ehe ich mich versah fand ich mich in einem Rudel wilder Gobblinhunde wieder. Diese wollten mir zunächst nichts Böses – ich war gut mit Fell getarnt – wohl aber meinen Mitstreitern. Ein heftiger Kampf entbrannte, der wohl schnell vorbei gewesen wäre, hätte sich nicht ein Gobblinschamane mit seinem Puma eingemischt. Ich war erschüttert, daß ein derart edles Tier einer so verabscheuungswürdigen Kreatur dient; sogar bis in den Tod. Magie kann die einzige Erklärung hierfür sein – schließlich wandte sich auch Aryas Wolf gegen uns.
Aller Widrigkeiten zum Trotz lag der garstige Schamane bald vor uns am Boden und wimmerte um sein Leben. Da er sich als durchaus redselig erwies sahen wir von einer weiteren Erkundung der Insel ab, zumal das Überraschungsmoment verloren war. Tarmin hatte in einem Wutanfall den Zauberstab des Schamanen zerbrochen und damit ein Inferno ausgelöst, das wohl keinem Gobblin in der Nähe verborgen blieb. Wir verschnürten den kleinen Störenfried gut und machten uns auf den Weg zurück nach Sandspitze. Uns war klar, wir müssen in größerer Zahl wieder kommen um die Insel und die darauf befindliche Burg zu erstürmen. Der Gefangene jedenfalls bestätigte uns, daß Brutalamus dort zu finden sei.

Die gute Stimmung, des Heimwegs verflog bald, als wir nicht nur Goulen ausweichen mussten, sondern auch eine Scheune voller verstümmelter Leichen fanden. All das Blut und die entstellten Körper machten uns klar, daß die Gobblins nur die Spitze des Eisberges waren.
Doch für den Moment wollen wir unseren kleinen Sieg genießen, uns auf die Schultern klopfen und uns dem Feind zuwenden, den wir kennen.
Distelkrone hat uns nicht zum letzten Mal gesehen.


Der Sturm auf die Distelkrone

Ich liege erschöpft in meinem Bett im „Rostigen Drachen“ und spüre wie meine Augenlider schwer werden. Unten, im Schankraum, höre ich noch meine Freunde reden, aber ich habe keine Kraft mehr für Gesellschaft. Mein Blick ruht auf den Astlöchern in der Holzdecke über mir.
In den letzten Stunden haben wir gleich mehrere Kapitel in der Geschichte von Sandspitze geschlossen. Die Bedrohung durch die geeinten Goblinstämme hat ein Ende gefunden, ebenso wie die Familie Kajitsu und somit die Tradition der Glasherstellung.
Alles in allen könnte man sagen, dass wir gesiegt haben, aber um welchen Preis. Mein weiser Meister sagte einst: „Wer auf Rache aus ist, sollte gleich zwei Gräber ausheben.“ Und leider behielt er Recht. Der Zorn ist nie ein guter Lehrer, doch auf seine eigene Weise, war er es, der zwei streitende Geschwister verbunden und schließlich wieder vereint hat.

Knapp eine Woche war vergangen, seit wir den Gobblinschamanen aus dem Gestrüpp bei Distelkrone geschleift hatten und er hatte uns eine recht detaillierte Karte von der Insel und der darauf befindlichen Festung gezeichnet. Nun, da Gobmurts Überreste am Marktplatz glosten, kam die Gruppe im Schleimaal wieder zusammen um einen Schlachtplan auszuarbeiten.
Neben Tarmin, Arya und mir selbst, hatte sich ein Abenteurer namens Alvas zu uns gesellt. Hoch erfreut waren wir auch über die frühzeitige Entlassung Wilhelms aus dem Sanatorium. Wärend dieser sich wieder über den Schleimaal her machte, betrat eine weitere, uns wohl bekannte Person den Raum. Ameiko Kajitsu konnte einfach nicht vergessen, was ihr Bruder ihr und ihrem Vater angetan hatte. Genau wie wir vermutete si Tsuto in der Gobblin-Festung und wollte auf jeden Fall mit von der Partie sein. Wir wagten es nicht zu widersprechen, zumal wir ihre Hilfe und ihre Beziehungen gut brauchen konnten. Aber nicht alleine ihr Bruder war es, hinter dem wir her waren. Zwei Helden-Gobblins – Brockenbeißer und Brutazmus – hatten nun auch schon lange genug geatmet.

Nach einigem Hin und Her kamen wir überein, dass ein Angriff die besten Aussichten auf Erfolg hatte, wenn er im Morgengrauen und vom Wasser her geführt würde. Die Hängebrücke über den Abgrund schien uns doch zu unsicher.
Ameikos Beziehungen zur Handelsliga verschafften uns schnell zwei Boote; bloß mit erfahrenen und willigen Seeleuten konnte man nicht aufwarten. Die großmäuligen Taugenichtse, die sich im Schleimaal volllaufen ließen, forderten Sold bar jeder Vernunft. So mussten wir mit einem eilig herbeizitierten Matrosen vorlieb nehmen.

Nach nur wenigen Stunden unruhiger Rast legten wir vom Sandspitzer Hafen ab. Das Wetter war stürmisch, aber unsere Boote – die „Kleine Cindy“ und die „Große Elsa“ – leisteten uns gute Dienste. Bis zu den drei Kormoranen, verlief unsere Reise auch wie geplant, doch bei hartem Wellengang schlug die „Kleine Cindy“ leck. Zunächst gelang es Tarmin das Loch mit den Fellbüscheln zu stopfen, die ich ihm gab, aber etwa zwanzig Meter vor der anvisierten Küste, sank das Boot unwiderruflich.
Ich sprang ins Wasser um meinen Freunden beizustehen. Zu allem Unglück machte Alvas dem armen Matrosen noch derartige Angst, dass er fehlsteuerte und auch das zweite Boot noch kippte.
Bis jetzt weiß ich nicht genau wie, aber irgendwie gelang es mir Tarmin, Arya, Wilhelm und Ameiko in Sicherheit zu bringen. Uns an das umgedrehte Boot klammernd erreichten wir schließlich unser Ziel.

Mehr als ein paar Minuten blieben mir aber nicht zum Durchatmen. Vor uns lag eine steile Felswand. Wilhelm und Alvas konnten dank ihrer exzellenten Augen oben einen Kran erspähen, der wohl zum hochschaffen von Wahren und Personen diente. So machten Alvas und ich uns an den Aufstieg. Der Fels war nass und Halt war rar. Ab der Hälfte etwa entschied ich mich alleine weiter zu klettern. Alvas hatte einen Kletterhaken in der Wand befestigt und schien vorerst nicht in Gefahr.
Das letzte Stück war sehr kraftraubend und so fühlte ich tief in mich und griff auf die enorme Kraft meines Ki zurück, um die letzten Meter zu bewältigen.

Oben angekommen, übergab ich eine Gobblin-Wache der Gnade der Schwerkraft und begann den Rest der Truppe hinaufzukurbeln. Unentdeckt drangen wir in die Festung ein, entledigten uns weiterer Wachen – und Hunde – und rückten schließlich ins Hauptgebäude vor.
Im Vorraum empfing und ein Bild des Grauens. Neben dem bestialischen Gestank, drangen die Bilder aufgespießter Hundeköpfe auf uns ein. Tarmin erkannte darunter auch seinen geliebten Begleiter wieder.

Wilhelm und ich beschlossen als erstes die große Balliste am Südturm auszuschalten. Leider konnten wir nicht schnell genug alle Wachen ausschalten und sie schlugen Alarm.
Das wäre aber gar nicht notwendig gewesen. Tarmin war außer sich vor Wut und stürmte in die große Halle der Festung. Auch eine eilig herbeigezauberte Illusion vermochte ihn nicht zu stoppen. Nun stand er Brockenbeißer und seinen Schergen gegenüber. Der sogenannte Gobblin-König ritt auf einem gewaltigen Gecko und drang gemeinsam mit seinen garstigen Gefährten auf den beherzten Krieger ein. Doch auch der war nicht alleine. Ohne zu zögern stellten sich Alvas, Arya und Cyral an seine Seite, während Ameiko , mit ihrer Laute, Mut zusang. Auch Wilhelm, von Kampfeslust beseelt, stürzte sich in die Schlacht.

Inzwischen war der letzte Gobblin an der Balliste gefallen und ich konnte nicht widerstehen sie zu benutzen. Das ganze verdammte Dach sollte über dem Pack zusammenbrechen. Meinen Kameraden aber habe ich damit wohl einen Bärendienst erwiesen.

Durch das Loch, welches ich in das Dach geschossen hatte, erspähte ich das Kampfgetümmel. Schnell wurde mir klar, dass ich unten wohl von größerem Nutzen sein würde als am Turm und ich nahm den direkten Weg über die Dächer. Als ich vor Brockenbeißer landete, lag Alvas schwer getroffen am Boden. Dass auch der Gecko des Gobblin-Königs in der Zwischenzeit verendet war, war nur ein schwacher Trost.
Der Kampf tobte mit ungebremster Heftigkeit und ich bekam nur am Rande mit, wie Aryas Wolf die garstige Gobblin-Hexe zerfleischte, denn auch ich bekam die Gobblin-Klinge zu spüren.

Endlich ergab sich eine Gelegenheit und ich ließ Brockenbeißers Schlagader mit einem gezielten Hieb reißen. Noch ehe er begriff was geschehen war, schwand das Leben aus ihm und er sackte zu Boden.

Erst jetzt, als der Kampfeslärm verebbte, merkte ich die verklingende Melodie von Ameikos Gesang. Die ganze Zeit über hatte sie mit ihren Lieder Mut und Kraft gespendet. Nun kümmerte sie sich gemeinsam mit Tarmin um den verletzten Alvas.

Als die Gruppe sich endlich wieder halbwegs erholt hatte, machten wir uns auf, die eingenommene Feste zu erkunden. Weder von Tsuto Kajitso, noch von Brutazmus – dem Hobgobblin – gab es die geringste Spur. Dafür fanden wir ein Kreuz des Lamatschu und identifizierten es als Schüssel zu der Großen Türe im Hauptgebäude. Ameiko schloss sie auf und wir blickten auf Treppen, die tief in die Eingeweide des Felsens führten. Die Dunkelheit vor uns schien fast greifbar und der klamme Wind, der uns entgegen wehte, schien sie auf uns zuzutreiben.

Wir waren müde, wir waren verletzt, wir wollten dort nicht hinunter; doch wir wussten auch es war noch nicht vorbei.


Der Tempel im Fels

Als meine Gefährten und ich vor der Treppe standen und hinab blickten erfasste uns zunächst eine große Mutlosigkeit. Die Aussicht auf weitere heftige Kämpfe mit Gobblins oder schlimmeren war nicht gerade verlockend. Doch mit einem Mal ging eine Welle der Zuversicht durch die Gruppe und alle Sorgen schienen wie weggeblasen. Ich hörte Schritte hinter mir und eine wohl bekannte Stimme sagte: „Na los! Worauf warten wir?“
Pollus, der Kleriker, mit dem ich gemeinsam viele Stunden der Studien im Tempel verbracht habe, war zu uns gestoßen. Er selbst wirkte abgekämpft von einer langen Reise. Augenscheinlich hatte er lange Zeit kein Auge zu getan. Und dennoch lag da eine eiserne Entschlossenheit in seinem Blick.
„Was auch immer die da unten heranzüchten, darf auf keinen Fall entkommen.“
Keiner von uns wagte zu wiedersprechen. So stiegen wir alle die Treppe hinab um uns dem zu stellen was uns dort erwartete.

Tarmin und Arya gingen mutig voran, der Rest folgte. Einzig Wilhelm verblieb in der Feste um uns den Rücken frei zu halten.
Zuerst gelangten wir in einen großen, schwach beleuchteten Raum. Außer einem zerschlagenem Steintisch war hier nichts zu finden, doch allein ein Blick auf Boden und Wände machte uns klar: das hier war alt – sehr alt. Wer auch immer diese Räumlichkeiten in den Stein getrieben hatte, tat dies lange bevor der erste Gobblin einen Fuß auf diesen verfluchten Felsen gesetzt hatte.

Der Raum hatte sechs Türen, denen wir uns der Reihe nach widmeten.
Die Erste führte uns in eine Höhle, in der die Gobblins Vorräte und diversen Plunder gelagert hatten. Wir konnten dort das Meer hören und eine Priese frischer Luft schlug uns entgegen. Da wir aber keinen Ausgang suchten machten wir weiter.

Die zweite Türe war verschlossen, doch hatte ich Brockenbeißers Leichnahm einen Schlüsselbund abgenommen, der uns vieles erleichterte. Im Raum, der sich dahinter verbarg, befanden sich mehrere Käfige mit mickrig verkümmerten Gobblins. Sie zeterten und klapperten mit ihren Zähnen, doch sie waren uns die Anstrengung nicht wert. Wir verschlossen die Türe wieder; die Zeit würde sich ihrer annehmen.

Hinter der dritten Türe lag ein dunkler Gang. Arya wollte ihn erkunden, musste jedoch feststellen, dass er nicht so leer war, wie es zunächst den Anschein hatte. Ein Krieger, der darin Wache stand überraschte unsere Waldläuferin und verletzte sie mit ein paar gezielten Schlägen schwer.
Es ist alleine Ameikos Geistesgegenwart zu verdanken, dass ein Kampf auf Leben und Tod vermieden werden konnte. Sie erkannte sofort, dass es sich um einen Söldner im Dienste ihres Bruders handelte und tat das, was sie als Geschäftsfrau am besten konnte: sie schloss ein Geschäft ab. Kurze Zeit später war ihr Geldbeutel ein wenig leichter, der seine gefüllt und wir hatten ein Problem weniger.
Auch wenn Arya die Schmach nicht auf sich sitzen lassen wollte, waren wir anderen froh zumindest einen Kampf vermieden zu haben.

Der Gang, den der Söldner bewacht hatte, führte zu mehreren Schlafräumen, in denen wir Pläne von sandspitze und dem Friedhof fanden, sowie das Bildnis eines Sukkubus, auf dem der Name Nualia geschrieben stand. Von Tsuto jedoch gab es keine Spur.

Die vierte Türe beherbergte einen Hort voll Gobblin-Weibchen, die hier wohl ihre Brutstädte hatten. Auch sie überließen wir hinter verschlossener Türe ihrem Schicksal.

Die Folterkammer hinter der fünften Türe ließ uns nicht derart gleich gültig. Neben reichlich, erst vor kurzem benutztem Folterwerkzeug, fanden wir auch den Leichnam eines Gnoms. Wir erkannten ihn als den kleinen Magier, der während der Eröffnung des sandspitzer Tempels, die Menge bei laune gehalten hatte. Pollus gab ihm die letzte Segnung.

Nun blieb nur noch eine Türe, die wieder mit dem Kreuz des Lamatschu zu öffnen war. Dahinter verbargen sich dunkle Gänge, die zunächst leer schienen, sowie zwei weiter Türen. Die Kleinere, mit seltsamen Mustern verziert, war magisch versiegelt; die Große, mit schrecklichen Darstellungen behauen, schlicht verschlossen.
Doch bevor wir uns auch nur einer der Beiden widmen konnten wurde ich von hinten gepackt. Ein quallenartiges Monstrum hatte sich leise aus der Dunkelheit genähert und schlang seine Tentakel um mich. Ohne das beherzte Eingreifen meiner Kameraden wäre ich wohl verschleppt und verdaut worden. So konnte ich einige Augenblicke später den Schleim aus dem Gesicht wischen und meine eigene Achtlosigkeit verfluchen.

Durch dieses kurze Intermezzo ließen wir uns aber keinesfalls von unserer Mission abbringen. Ein Schlüssen, den wir in den Räumen neben der Folterkammer gefunden hatten, passte in des Schloss der großen Türe. Als sie aufschwang gab sie den Blick auf einen Tempel des Lamatschu frei. Der Sündenpool und die schaurigen Wandverzierungen ließen uns das Blut in den Adern gefrieren und aus dem Halbdunkel ertönte eine raue Stimme. „Shaleilu, bist du das?“
Wir hatten Brutazmus aufgestöbert. Der Hobgobblin stand hinter dem Altar des Tempels und war nicht alleine. Ein Rudel alptraumhafter Höllenhunde stürzte auf uns los und zwang uns beinahe in die Knie. Geifernde Kiefer schnappten und was ihre Fänge und Klauen nicht erreichen konnten wurde in einem Schwall aus Feueratem versengt. Das Kampfesglück schien uns verlassen zu haben, als pollus seinen glühenden Streithammer schwang und eine Welle positiver Energie entfesselte, die nicht nur die dämonischen Kreaturen schwächte, sondern auch den Sündenpool reinigte.
Nicht länger von Hunden bedrängt raste ich vorwärts. Ein Gobblin tauchte aus dem Nichts zu meiner Linken auf, doch Alvas deckte gekonnt meine Flanke.
Brutazmus derweil, verschoss Pfeile und traf Arya ganz unglücklich. Ich sah sie an einer Säule zusammensacken, während sich Cyral schützend vor ihr aufbaute. Die Pfeile des Hobgobblins schienen auf magische Weise gegen Elfen gerichtet zu sein.
Bevor sie aber außer Gefecht gesetzt wurde, machte Arya ihrem Ruf als Meisterschützin alle Ehre.
Brutazmus war bereits von mehreren Pfeilen verwundet, als ich ihn endlich erreichte.
Ein harter Tritt gegen die Stirn ließ seinen Kopf derart hart auf der Wand hinter sich aufschlagen, dass ich seine Schädelbasis bersten hören konnte.
Der Kampf war vorbei und wir alle sammelten uns.
Pollus machte sich unverzüglich daran den Tempel neu zu weihen, während Arya ihre Wunden versorgte. Cyral wollte natürlich nicht von ihrer Seite weichen. So mussten wir für die restliche Erkundung auf die Unterstützung der Drei verzichten.


In die Tiefe

Es blieb noch eine letzte Türe, vor der wir nun alle standen. Das magische Siegel war fort – aus welchem Grund auch immer – und wir konnten sie einfach aufstoßen.
Der Raum in den wir nun betraten hatte einen großen Tisch und eine Schiefertafel an der Wand. Anhand der Zeichnungen darauf war leicht zu erkennen, dass hier der Angriff auf Sandspitze geplant worden war. Weiter hinten führte ein Durchgang zu einer Wendeltreppe, die tief nach unten führte. Rings herum lagen Ausgrabungsutensilien verstreut, von denen Tarmin eine Spitzhacke mitnahm.

Die Treppe kam mir endlos vor. Ich kann nicht genau sagen wie tief wir hinabstiegen, aber als wir schließlich unten ankamen befanden wir uns gewiss tief unterhalb des Meeresspiegels. Die Dunkelheit hier unten legte sich stofflich wie ein gewebtes Tuch über uns und schien nicht bloß das Licht unserer Fackeln zu verschlucken sondern auch jedes Geräusch.
In dieser gespenstischen Stille, so schien es mir, konnte ich nicht bloß meinen eigenen Herzschlag hören, sondern auch den meiner Gefährten. Stark und gleichmäßig aber auch erregt drängte der Rhythmus nach vorne; unsrem Schicksal entgegen. Wir alle spürten, dass hier unten nicht an Flucht zu denken war. Entweder wir vernichteten die Bedrohung, oder sie würde uns zu Grabe tragen.

Die letzten Stunden der Anspannung und des Kampfes jedoch begannen ihren Tribut zu fordern. Mein Atem ging schnell, das Blut pochte schmerzhaft hinter meinen Schläfen und meine Hände zitterten fast unmerklich. Gerne hätte ich mich jetzt niedergelassen um wenigstens eine Stunde zu meditieren.
Da streckte Alvas seine Hand aus. „Seht nur, da vorne.“
Die Wendeltreppe mündete in einem Gang, der im Licht unserer Fackeln scheinbar zur Sackgasse wurde. Alleine die scharfen Augen des Halbelfen erspähten einen matten roten Schimmer und identifizierten so einen Steintüre, die beinahe nahtlos in die Wand eingelassen war.
Es bedurfte seiner ganzen Fingerfertigkeit den Mechanismus zu entriegeln, der die Türe verschlossen hielt und einer großen Portion Glück der falle zu entgehen. Denn kaum, dass die Türe aufschwang, gab der Boden unter Alvas nach. Mit Reflexen, die ich ihm nie zugetraut hätte, stieß er sich von der Bodenplatte ab und hechtete in den Raum hinter der Türe.
Tarmin Ameiko und ich standen wie vom Donner gerührt da. Vor uns war ein Eisen gitter aus dem Boden geschossen und dort, wo vor einer Sekunde noch Alvas gestanden hatte, klaffte ein Loch im Boden. Ein Blick hinunter offenbarte uns mehrere lange Spitzen und spiegelglatte Wände. Tarmin schluckte hörbar neben mir.
Hinter der Falltüre rappelte sich Alvas auf, klopfte den Staub von seinen Schultern und verzog unbeeindruckt das Gesicht – fast als hätte er so etwas schon tausend Mal gemacht. Während er den Raum in augenscheinnahm nahm, boten Tarmin und ich allunsere Kräfte auf um das Eisengitter wieder zurück in den Boden zu schieben. Stück für Stück trieben wir es zurück, bis ein metallisches Klicken uns Erfolg verhieß.
Ameiko und ich schlossen sodann mit einem beherzten Sprung zu Alvas auf; unser schwer gerüsteter Krieger allerdings blieb vorerst zurück.

Der Raum in dem wir nun standen war groß. Nicht ganz so lange wie der Tempel über uns, den der Kleriker gerade reinigte, aber ungleich höher. Drei gewaltige Säulen, von gut 2 Metern Durchmesser, stützten die Decke, die irgendwo über uns in der Dunkelheit verschwand. Diese Säulen waren es auch, die unsere Blicke fesselten. Der Stein aus dem sie bestanden ging, im unteren Drittel, nahtlos in gewaltige Glasphiolen über, die mit einer rötlich wabernden Flüssigkeit gefüllt waren und en ganzen Raum in eine unheimliches Licht tauchten. Selbst Ameiko, die ihr Leben lang mit der Herstellung und Verarbeitung von Glas zu tun hatte konnte sich nicht erklären, wie eine solche Konstruktion möglich war.
Noch viel beunruhigender als die unerklärliche Verschmelzung von Glas und Stein was aber deren Inhalt.
Zwei der Phiolen waren stark verschmutzt und das Glas trüb geworden, sodass ein Blick ins Innere nicht möglich war; die dritte jedoch offenbarte beinahe stolz ihr Geheimniss. In der Flüssigkeit trieb leblos ein Wesen, derart grauenhaft entstellt, dass ich mich gar nicht so genau daran erinnern möchte um es beschreiben zu können.
Das rötliche Wabern und die hin und her treibenden Auswüchse der Kreatur waren schauderhaft aber hypnotisch zugleich. Ich vermochte meinen Blick nicht abzuwenden. Erst die Rufe Tarmins rissen mich aus meiner Trance.
„Was ist los da drinnen? Habt ihr etwas gefunden, dass ich als Brücke verwenden kann?“

Eilig ließ ich meinen Blick durch den Raum schweifen. Seitlich, an den Wänden, lagen zwei große Statuen, die wohl vor langer Zeit von ihren Sockeln gestürzt waren. Alvas und ich rollten eine von ihnen zur Türe und stürzten sie kopfüber in den Abgrund. So hatte Tarmin nun eine Trittstufe über die er in den Raum steigen konnte.

Der Krieger war zielstrebig und fokussiert, denn würdigte die Säulen kaum eines Blickes sondern ging direkt zu der Steintüre, die in die hintere Wand des Raumes eingelassen war. Wir konnten weder Scharniere noch Schlossmechanismus finden, doch waren unten ca. zwei Handbreit herausgeschlagen worden.
Tarmin hielt sich nicht lange mit Untersuchungen auf, sondern griff sich die Spitzhacke und machte sich daran die Türe dauerhaft zu Öffnen. Krachend hallten seine Schläge durch den Raum und trieben immer größere Risse in den Stein.
Mit einem Mal jedoch hielt er inne und ich traute meinen Augen nicht. Im Spalt unter der Türe war der Kopf einer Katze erschienen, die uns alle neugierig ansah. Unerschrocken schritt sie zu uns in den Raum und musterte jeden von uns. Es war ein schönes Tier, schneeweiß, bewegte sich geschmeidig und er Blick zeugte von ungewöhnlicher Intelligenz. An einem Ort wie diesem schien sie einfach nur fehl am Platz.
Tarmin ließ sich aber nicht lange aufhalten. Mit kräftigen Hieben setzte er weiter der Türe zu. Die Katze schien das nicht zu mögen und zog sich durch den Spalt wieder zurück.
Kurz darauf räumten wir die Trümmer aus dem Weg und blickten auf einen langen Gang. Schnurgerade stellte er sich im Licht unserer Fackeln vor uns dar und ließ an seinem Ende eine große Statue erkennen, neben der links und rechts je eine Türe abzweigte. Wir vermuteten eine Falle und sollten Recht behalten.
Tarmin ließ einen Arm, der umgestürzten Statue im Raum, den Gang entlang kullern und keine drei Meter von uns entfernt wurde er von zwei aufeinander krachenden Steinblöcken zermalmt.
Verdrossen sahen wir uns gegenseitig an.
Während Alvas sich daran machte den Mechanismus zu suchen um die Falle zu entschärfen, tauchte aus dem rötlichen Zwielicht hinter uns erneut die Katze auf. Von ihrem unergründlichen Blick in den Bann gezogen, nahm Tarmin sie auf den Arm und begann sie zu streicheln.
Ich fragte mich auf welchem Weg sie wohl hinter uns in den Raum gelangt war, hatte aber keine Zeit den Gedanken weiter zu verfolgen denn ein lautes Knacken verkündete Alvas Erfolg. Mit einem scharrenden Geräusch glitten die Steinblöcke auseinander und wir blicken in ein wohl bekanntes und ebenso verhasstes Gesicht.

„Hallo Schwester! Hast du mich vermisst?“ rief Tsuto an uns vorbei und ich konnte spüren wie Ameiko sich versteifte.

Dieses Mal würde er uns nicht entkommen. Mit einem Satz sprang ich über die Falle hinweg und spürte einen Pfeil knapp an meinem Ohr vorbei fliegen. Einen weiteren konnte ich aus der Luft holen und schoss meinerseits zwei Shuriken zurück. Wie ich schon bei unserer ersten Begegnung vermutet habe musste Tsuto wohl eine ähnliche Ausbildung wie ich genossen haben, denn auch er wischte die Geschosse mühelos beiseite.
Hinter uns hörte ich Ameiko auf Tarmin einreden, der wie von Sinnen, mit Pfeil und Bogen auf Alvas anlegte. Ich hatte aber keine Zeit mich darum zu kümmern.
Bei Tsuto angelangt, versetzte ich ihm einen Schlag, der ihn eigentlich bewusstlos hätte zu Boden schicken sollen, aber er torkelte bloß einen Schritt zurück. Wenigstens hatte er seinen Bogen fallen gelassen. Doch auch unbewaffnet war er nicht weniger gefährlich.
Alvas setzte an mir vorbei um Tsuto zu stellen, wurde aber von genau so einem heftigen Schlag außer Gefecht gesetzt.
Wie mir Tarmin später berichtete, war es genau jener Moment, der ihn aus seinem Bann erwachen ließ. Wieder bei Sinnen stand er nun fünf Katzen und einer Magierin gegenüber, die sofort zum Angriff übergingen. Als erfahrener Krieger wusste er sofort, dass er es mit Illusionen zu tun hatte. Und auch als er mit Flammen und allerlei magischen Geschoßen attackiert wurde blieb er standhaft. Ein gekonnter Schwertstreich ließ die echte Katze blutend zurück und all die Illusionen verschwanden.

Unterdessen war zwischen Tsuto und mir ein gnadenloser Kampf entbrannt. Er war geübt in der Kampfkunst, wie seine harten Schläge und schmerzhaften Konter bewiesen, aber bald machte sich seine mangelnde Disziplin bemerkbar. Als ich die Lücke in seiner Deckung fand schlug ich zu.
Mein Ziel war es ihn außer Gefecht zu setzen um ihn gefangen zu nehmen; ich hatte einige Fragen an ihn. Das Schicksal hatte aber andere Pläne. Vom letzten tritt getroffen, taumelte er gegen die Statue am Ende des Ganges, die über ihm zusammenbrach. Tsuto wurde unter herabfallendem Gestein begraben. Mir blieb bloß noch den Siegelring von seinem Finger zu ziehen, als Beweis für unseren Sieg.

Während wir alle zu Atem kamen, betrachtete Ameiko das, was von ihrem Bruder übrig geblieben war. Doch obgleich ihrer versteinerten Miene, bemerkte ich eine einzelne Träne über ihre Wange rinnen. Ich konnte es ihr nicht verdenken, schließlich war es ihr Bruder gewesen.

Nun standen wir am Gang und besahen uns beide Türen. Schließlich fiel unsere Wahl auf die Linke und wir stießen sie auf. Uns empfing ein Gang, der in ein intensives rotes Licht getaucht war. An der Wand befand sich der Schalter um die Falle zu deaktivieren, so konnte auch Tarmin zu uns aufschließen.
Nach nur wenigen Schritten sahen wir eine kleine Halle, deren Wände wie aus durchsichtigem Gestein schienen und tief rot pulsierten. In der Mitte stand, von zwei Höllenhunden bewacht, eine Frau. Sie war groß, von schlanker Statur und nur leicht bekleidet. Man hätte ihren Körper durchaus als wohlgeformt bezeichnen können, wäre da nicht ihre mutierte Klauenhand gewesen und die tiefen narben auf ihrem Bauch. Und ihr Gesicht – es war das Schönste, das ich je gesehen hatte, doch strahlte es eine kalte Gültigkeit aus, die mich frösteln ließ.
Auch meinen Gefährten stockte der Atem und ich konnte Tarmin neben mir leise „Nualia“ raunen hören.
Wir hatten den Sukkubus gefunden.
Das dämonische Wesen schien kaum Notiz von uns zu nehmen, als es die Klaue ausstreckte und mit einem Stummen Befehl die Hunde auf uns hetzte.
Zunächst war es mir unmöglich zu handeln. Ich war von einer tiefen Traurigkeit befallen, gegen so etwas Schönes kämpfen zu müssen. Teilnahmslos sah ich zu, wie sich die Bestien näherten.

Alvas reagierte als erster: „Rückzug!“ gehieß er uns mit kräftiger Stimme und riss mich so aus meinem Bann.
Während Tarmin und deckte, ließen wir uns in den großen Raum mit den Säulen zurückfallen, wo wir uns im Kampf bessere Chancen ausrechneten. Die Hunde drangen heftig auf uns ein, doch nun wussten wir, womit wir es zu tun hatten. Nach kurzem Kampf lag der Erste auf dem Boden und auch der zweite war schwer verletzt. Seine Wunden vermochten ihn aber nicht zu bremsen. Wie verrückt stürzte er auf Ameiko los. Sie selbst erkannte zu spät was los war. Das Kreuz des Lamatschu in ihrer Tasche glühte heftig und schien die Kreatur anzuziehen. Der Hund sprang los, Schwerter schnitten sich in seine Flanke, doch noch bevor das Licht in seinen Augen erlosch gruben sich seine Zähne in den Hals der unglücklichen Ameiko. Sie war nicht mehr zu retten.

Während all dessen war Nualia mit gleichgültiger Miene bedächtig den gang entlanggeschritten. In ihrer menschlichen Hand schwang sie ein gewaltiges Breitschwert, ganz als ob sie dessen Gewicht nicht spürte. Furchterregend und wunderschön zugleich stand sie da. Unsere Überzahl und die toten Hunde schienen sie nicht im Mindesten zu beeindrucken. Ohne eine Gesichtsregung ließ sie einen Sturm aus Schwerthieben auf uns los. Alvas und ich taten unser Bestes und konnten einige Treffer landen, doch sie schien ihre Wunden gar nicht zu bemerken. Selbst als es mir gelang ihr das Schwert aus der Hand zu schlagen, bremste sie das nicht eine Sekunde. Sie führte die Angriffe mit der Klauenhand fort.
Dann wandte Tarmin das Blatt. Wie einer Eingebung folgend, schlug er mit seinem Schwert auf das Kreuz des Lamatschu, das Ameiko in ihrem letzten Atemzug von sich geworfen hatte.
Der Sukkubus zuckte zusammen.
Ein weiter Schlag. Der Sukkubus beagnn sich zurückzu ziehen.
Ich setzte ihr nach, brach ihr mit einem Tritt den Oberschenkel. Sie reagierte nicht.
Ein weiter schlag auf das Kreuz. Der Sukkubus sank auf die Knie.
Alvas war zur Stelle und trennte mit einem schnellen Hieb den Kopf von den Schultern.
Kein Schrei, kein Blut. Das Haupt Nualias lag vor uns im Staub und blickte uns weiter aus teilnahmslosen Augen an. So wunderschön…

An das was nun geschah erinnere ich mich nur mehr schemenhaft. Ein Grollen ging durch den Fels und Boden und Wände bebten. Die Glassäulen in der Halle barsten und ergossen ihren Inhalt auf den Boden. Wie von der Tarantel gestochen stürmte Tarmin an mir vorbei und trat die rechte Türe am Ende des Ganges auf.
„Wir müssen hier raus!“
Alvas folgte ihm.
Auch ich hatte nicht vor hier unten begraben zu werden. Ich schulterte Ameikos Leichnam und folgte ihnen. Sie hatte ein anständiges Begräbnis verdient.

Wir flüchteten durch eine weiter Halle, die ein gewaltiges goldenes Tor beherrbergte. Ich hätte es gerne näher in Augenschein genommen, doch die einstürzende Decke wollte es anders.
Weiter ging es in eine Höhle, in der ein großer See mit Meerwasser war, weshalb wir uns eine Verbindung zum Meer verhoffen.
Mit dem Mut der Verzweiflung begannen wir zu tauchen. Doch als hätten wir nicht schon genug erlebt, erwartete uns unter Wasser eine Kreatur, die einem gigantischen Einsiedlerkrebs glich. Das Monstrum schnappte mir Ameikos Leichnam von den Schultern. Ich streifte bloß ihren Siegelring ab; für einen Kampf war ich zu ausgelaugt.

Irgendwie haben wir es dann an die Wasseroberfläche geschafft, wo uns Sam, der angeheuerte Matrose, an Bord der „Großen Elsa“ zog. Prustend saß ich da und rang nach Luft. Meine lungen brannten, mein Kopf schmerzte und mit klammen Fingern betrachtete ich den Ring. Mehr war von der Familie Kajitsu nicht gebleiben.
Hinter uns versank Distelkrone mit lautem Getöse im Meer. Kurz bevor die schmale Hängebrücke riss, erkannten wir vier Gestalten, die sich hastig in Sicherheit brachten.

Nun liege ich im Bett und spüre eine Nacht voll unruhigem Schlaf und schlechten Träumen auf mich zukommen. Ich kann dieses formlose Gefühl der Bedrohung nicht abschütteln.
Was mich wurmt ist nicht die Argwohn, die uns die Stadtwache bei unserer Rückkehr entgegenbrachte; und auch nicht der Beutel mit Gold, den uns der Vogt als Schweigegeld vor die Füße warf. Es ist der Brief, dieser vermaledeite Brief in eben jenem Beutel.
Er war mit Eure Hoheit signiert. Verdammt.
Was auch immer hier los ist, es ist noch nicht vorbei.